Die Erklärung des Heiligen Messopfers
von Pater Martin von Cochem

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Katechese

Jesus Christus , das Lamm Gottes

8. Kapitel

In der hl. Messe erneuert Christus sein Leiden
 
 
   

1. Unter allen Geheimnissen des Lebens Christi ist keines nützlicher zu erwägen und keines verehrenswürdiger als eben das bittere Leiden und Sterben, durch das wir erlöst worden sind. Hiervon reden die hl. Väter ganz herrlich und versprechen demjenigen, welcher das Leiden Christi fleißig verehrt, reichliche Vergeltung von Gott. Wiewohl es nun viele nützliche Andachtsübungen zum bitteren Leiden gibt, so meine ich doch, dass keine besser und würdiger sei als eben das andächtige Hören der hl. Messe. Denn auf dem Altare ist es wahrhaftig gegenwärtig, wird von neuem geübt und wiederholt, deswegen kann man es da am besten betrachten und vor Augen stellen.

2. Dass das Leiden Christi bei der Messe erneuert wird, können wir ja mit Augen sehen und mit Händen greifen. Denn was wir allda sehen, sind lauter Kreuze und Kreuzzeichen: In den Altarstein sind fünf Kreuze eingehauen, welche mit wohl mehr Kreuzzeichen vom Bischof konsekriert worden sind. Auf dem Altare steht ein Kruzifix, auf der Hostie steht ein Bild des Gekreuzigten und ebenso im Messbuch vor dem Kanon. Auf dem Schultertuch steht ein Kreuz, auf dem Manipel, auf der Stola und auf der Kasel oder dem Messgewand steht ein Kreuz, auch am Kelch und auf der Patene siehst du das Kreuz. Der Priester bezeichnet sich selbst mit dem Kreuzzeichen. Was bedeuten denn diese vielen Kreuze und Kreuzzeichen anders als eben, dass das blutige Kreuzopfer Christi, nämlich sein bitteres Leiden und Sterben, vorgestellt, wiederholt und erneuert wird?

3. Christus hat beim letzten Abendmahl gesprochen: "Tuet dieses zu meinem Andenken." Aber dieses Andenken ist nicht bloß eine Erinnerung, sondern auch eine Erneuerung des Leidens Christi, denn also spricht die katholische Kirche auf dem Konzil von Trient (Sitzung 22, Kan. 2): "Wenn jemand sagt, das Messopfer sei nur ein Opfer des Lobes und Dankes oder nur eine bloße Erinnerung an das am Kreuze vollbrachte Opfer, der sei im Banne." Und dasselbe Kap. 2 sagt: "In diesem göttlichen Opfer, welches in der hl. Messe vollzogen wird, ist eben derselbe Christus enthalten und wird unblutiger Weise geschlachtet, welcher sich selbst auf dem Altare des Kreuzes ein Mal blutiger Weise dargebracht hat." Wenn wir kein anderes Zeugnis als nur dieses einzige hätten, sollte es uns schon genug sein und uns allen Zweifel benehmen. Denn was die katholische Kirche lehrt und uns zu glauben vorstellt, das müssen wir fest glauben und dürfen dem nicht im Geringsten widersprechen. Nun aber sagt die Kirche, dass derjenige, welcher sich vorzeiten am Kreuze blutiger und schmerzlicher Weise aufgeopfert hat, in der hl. Messe wahrhaft gegenwärtig ist und wiederum unblutiger Weise, also ohne Schmerzen zum Schlachtopfer wird.

4. Zum Beweise setzt die Kirche noch folgende Worte hinzu: "Denn es ist ebendasselbe Schlachtopfer und ebenderselbe unter Bedienung der Priester Opfernde, der sich damals selbst am Kreuze hingab, nur die Weise zu opfern ist verschieden." Als wollte die Kirche sagen: In beiden Opfern, nämlich im Kreuzesopfer und im Messopfer, ist ebendasselbe Opferlamm, welches geopfert und geschlachtet wird, und es ist eben derselbe, welcher beide Opfer verrichtet, nämlich Christus. Die Art und Weise aber, wie er in beiden Fällen das Opfer vollbringt, ist verschieden; denn am Kreuze hat er sich selbst blutiger Weise geopfert, geschlachtet durch die Hände der gottlosen Schergen; auf dem Altare aber opfert er sich selbst unblutiger Weise, geistig geschlachtet durch die Hände und den Dienst der Priester.

5. Dieses Wort "schlachten", auf Latein "immolare" braucht die Kirche gar oft im Messbuch, und auch der hl. Augustinus braucht es an der Steile: "Christus ist an und für sich zwar nur einmal geschlachtet worden, aber dennoch wird er im Sakramente oder der hl. Messe alle Tage für das Volk geschlachtet." Dieses Wort, sage ich, ist sehr beachtenswert, weil es in der hl. Schrift vom Schlachten der Tiere zu den Opfern im Alten Bunde weit über hundertmal gebraucht wird. Wenn nun die Kirche dasselbe Wort bei der hl. Messe braucht, so will sie damit anzeigen, dass Christus unter der hl. Messe nicht allein mit den bloßen Worten des Priesters, auch nicht allein mit der bloßen Aufhebung des Sakraments geopfert werde, sondern dass er in der hl. Messe wie ein Lamm geistiger Weise gemartert, getötet und geschlachtet wird, wie wir noch weiter beweisen wollen.

6. Der hl. Cyprian sagt: "Das Leiden Christi ist das Sakrifizium, welches wir aufopfern", als wollte er sagen: Wenn wir die hl. Messe lesen, so erneuern wir das, was beim Leiden Christi geschehen ist. Noch klarer sagt es St. Gregorius. "Wiewohl Christus jetzt nicht mehr stirbt, so leidet er doch durch das Messopfer in geheimnisvoller Weise wiederum für uns."

7. Solcher Zeugnisse könnte ich gar viele beibringen, will mich aber der Kürze halber auf das beste beschränken, nämlich auf das der unfehlbaren hl. Kirche, welche am neunten Sonntag nach Pfingsten in der Sekret also betet: "Verleihe uns, o Herr, dass wir diese Geheimnisse oftmals würdig begehen, denn sooft das Gedächtnis dieser Opfergabe gefeiert wird, so oft wird das Werk unserer Erlösung geübt." Hier ist nun die Frage, welches das Werk unserer Erlösung sei. Das wissen die Kinder zu beantworten. Denn wenn du sie fragst: Wodurch sind wir erlöst worden? So antworten sie: Durch das Leiden Christi. Wenn nun die Kirche sagt, dass das Werk der Erlösung in allen Messen geübt oder vollzogen werde, so folgt daraus, dass das Leiden Christi in allen Messen wieder erneuert wird. Das ist natürlich nicht so zu verstehen, als ob wir durch die Messe von neuem erlöst würden, sondern dass die Kraft der Erlösung durch die hl. Messe uns zugeeignet wird.

8. Schließlich höre noch ein schönes Wort von Molina: "Die hl. Messe übertrifft die anderen Opfer unermesslich, weil sie nicht bloß eine Darstellung, sondern das Werk unserer Erlösung selbst ist, voll von Geheimnissen und wirklich vollbracht." Diese Zeugnisse können einem jeden genugsam beweisen, dass die hl. Messe eine Erneuerung des Leidens Christi ist und dass das sanftmütige Gotteslamm wieder zum Opfer gebracht wird. Wenn Christus dabei auch nicht leiblicher oder schmerzlicher Weise mehr leiden kann, so zeigt er doch dem himmlischen Heere die erbarmenswerte Gestalt, die er bei seiner Geißelung, Dornenkrönung und Kreuzigung gehabt, so lebendig, als wenn er dies noch einmal wirklich in der Tat für die Welt litte. Dieses soll ein Beispiel noch deutlicher machen.

9. Amerumnes, ein Sarazenenfürst, schickte einst seinen Neffen zur Stadt Amplona in Syrien, in welcher eine herrliche Kirche zu Ehren des Hl. Gerogius stand. Als der Sarazene diese Kirche von ferne sah, befahl er seinen Dienern, die Kamele in die Kirche zu führen und ihr Futter auf den Altar zu legen. Die Priester aber warnten ihn vor solch einer Schändung des Tempels Gottes. Dessen ungeachtet ließ er die Kamele in die Kirche treiben; sie fielen aber auf der Stelle tot um. Hierüber erschrak der Fürst und befahl seinen Knechten, die toten Kamele hinaus zu tragen. Man feierte aber an diesem Tage ein großes Fest, und viel Volk war in der Kirche zur Heiligen Messe versammelt. Der Priester begann dieselbe nicht ohne Sorge, weil er von dem Sarazenen eine Verunehrung des Heiligen Sakramentes befürchtete. Dieser stellte sich nämlich neben den Altar, um so besser die Zeremonien der Heiligen Messe beobachten zu können. Während nun der Priester nach griechischem Ritus das konsekrierte Brot mit einem Messer in vier Teile schnitt, sah der Sarazene, wie derselbe solches an einem schönen Kindlein verübte und das herausfließende Blut in den Kelch goss. Hierüber war er so erzürnt, dass er den Priester sogleich am Altar erstochen haben würde, hätte ihn nicht die Begierde, noch mehr zu sehen, davon zurückgehalten. Bei der Heiligen Kommunion beobachtete er, wie der Priester einen Teil des Kindleins aß und dessen Blut aus dem Kelche trank. Auch sah er, wie jener danach die Gläubigen, welche zur Kommunion kamen, mit dem Fleische dieses Kindleins speiste, indem er Es ihnen in den Mund gab. Darüber wurde der Heide so erbittert, dass er zu sich selbst sprach: „Sind die Christen nicht Unmenschen, da sie bei ihrem Götzendienst ein Kind schlachten und gleichwie Bestien Menschenfleisch essen? Fürwahr, den grausamen Mord dieses unschuldigen Kindleins will ich rächen und diese wilden Menschenfresser sollen elend umkommen!“ Nach der Heiligen Messe teilte der Priester gesegnetes Brot unter das Volk aus und gab auch dem Sarazenen ein Stücklein. Dieser aber fuhr ihn wütend an: „Was ist das?“ Der Priester antwortete: „Gesegnetes Brot.“ Da schrie der Heide voller Zorn: „Hast du dieses Brot nicht geopfert, du unmenschlicher Mörder? Habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen, wie du das schöne Kindlein geschlachtet, sein Blut in den Kelch gegossen und sein Fleisch in vier Teile zerschnitten auf den Teller gelegt hast? Habe ich das nicht mit meinen Augen gesehen, du gottloser, grausamer Mörder? Habe ich nicht auch gesehen, wie du das liebe Kindlein gegessen und sein Blut getrunken, und auch anderen davon gegeben hast?“ Der Priester erstaunte hierüber und sprach: „Herr, ich bin ein Sünder und nicht würdig, so große Geheimnisse zu sehen; weil du sie aber gesehen hast, so musst du in Wahrheit groß sein vor dem Herrn.“ Der Sarazene  fragte: „ Ist es denn nicht so, wie ich gesehen habe?“ Der Priester antwortete: „Freilich ist es so, Herr. Doch sehe ich das große Geheimnis nicht, weil ich ein Sünder bin, sondern ich sehe allein Brot und Wein, welches wir konsekrieren und in den Leib und das Blut Christi verwandeln.“ Von diesen Worten wurde der Sarazene tief ergriffen und bat den Priester um Aufnahme in die Kirche und um die Heilige Taufe. Der Priester aber verweigerte ihm dies aus Furcht vor seines Vaters Bruder und sagte zu ihm: „Wenn du im Ernste getauft werden willst, so gehe auf den Berg Sinai zu dem Bischof und erzähle ihm, was sich mit dir zugetragen hat; dann wird er dich im christlichen Glauben unterrichten und taufen.“ Nach diesen Worten kehrte der Sarazene zu den Seinigen zurück, denen er aber nichts von allem diesem erzählte, floh in der Nacht heimlich in einem rauen Pilgergewande auf den Berg Sinai zu dem Bischof und erzählte ihm die Ursache seiner Bekehrung. Da wurde er unterrichtet, getauft und Pachomius genannt und später in den Ordensstand aufgenommen. Nach dreijährigem strengem Bußleben zog er dann mit Erlaubnis seiner Oberen zu seinem Vater, in der Hoffnung, ihn zu bekehren, ward aber grausam gemartert und schließlich gesteinigt.

10. Aus diesem Wunder erkennen wir, dass der wahre Leib und das wahre Blut Christi nicht allein im hochwürdigsten Sakramente gegenwärtig ist, sondern auch, dass Jesus unter der Heiligen Messe wahrhaft geschlachtet wird, zwar nicht leiblicher-, sondern geistigerweise. Dass aber der Sarazene in der Heiligen Messe gesehen, als ob der Priester das Kindlein in Stücke zerschnitten hätte, ist deshalb geschehen, damit dieser Heide, welcher noch keine Erkenntnis des Glaubens hatte, erst zur Verwunderung, dann zur Nachforschung und endlich zum Unterrichte im christlichen Glauben gebracht würde. Gott hat auch gewollt, dass diese Begebenheit aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert würde, auf dass wir über dieses hohe Geheimnis besser unterrichtet und in unserem wahren Glauben gestärkt würden. Obgleich nämlich Christus unter der Heiligen Messe weder leiblicher- noch scherzlicherweise geschlachtet wird, so zeigt Er doch dem Himmlischen Vater die erbarmungswürdige Gestalt, die Er in Seiner Geißelung, Krönung und Kreuzigung gehabt hat, so lebhaft, als ob Er dies alles nocheinmal wirklich und in der Tat für die Welt litte.

11. Daher sagt P. Lancicius: „ Die Heilige Messe ist eine Vorstellung des Leidens und Sterbens Christi, nicht nur mit Worten, wie in den Schauspielen zu geschehen pflegt, sondern in der Tat und Wesenheit; deswegen nennen die Heiligen Väter die Heilige Messe das wiederholte Leiden Christi und sagen, dass Christus in der Heiligen Messe wieder leide und geistigerweise getötet werde.“ Dies sind die eigenen Worte dieses geistreichen Lehrers, welcher von dem Geheimnisse der Heiligen Messe gar viel geschrieben hat. Nun will ich noch ein anderes Beispiel anführen, damit wir desto mehr im Glauben an dieses hohe Geheimnis bestärkt werden.

12. In dem Leben der Altväter liest man von einem alten, ungelehrten Einsiedler, welcher sich nicht vorstellen konnte, dass Christus im Heiligsten Sakramente gegenwärtig sei, und immer sagte: „Im Heiligsten Altarssakramente ist nicht der Leib, sondern nur das Bild Christi.“ Dieses kam zwei alten Einsiedlern zu Ohren, die sich dann auf den Weg zu ihm begaben. Sie suchten ihm seinen Irrtum zu nehmen und erklärten ihm deshalb die Lehre der katholischen Kirche und bewiesen sie ihm mit vielen Stellen aus der Heiligen Schrift. Er aber ließ sich nicht belehren.  „Ich glaube es nicht,“ sagte er, „wenn es mir nicht durch ein Wunder geoffenbart wird.“ Da beteten sie die ganze Woche hindurch zu Gott und kamen am Sonntag in die Kirche. Dort bemerkten sie alle drei bei der Heiligen Wandlung anstatt der Hostie ein schönes Kindlein auf dem Altare und empfanden darüber die größte Freude. Als der Priester die Hostie zerbrechen wollte, sahen sie, wie ein Engel das Kindlein mit einem Messer zerschnitt und das Blut in den Kelch goss, was ihnen großen Schrecken verursachte. Als der ungläubige Einsiedler bei der Kommunion, wo der Priester ihm das Hochwürdigste Sakrament reichen wollte, sah, dass derselbe das blutige Fleisch von dem Kindlein in den Händen hatte, da befiehl ihn ein großer Schrecken und er rief mit lauter Stimme: „O Herr Jesus! Ich erkenne meinen Unglauben und bereue meine Hartnäckigkeit. Nun glaube ich wahrhaft, dass das konsekrierte Brot Dein Heiliger Leib, und dass in dem konsekrierten Kelche Dein wahres Blut sei. Ich bitte Dich, O Herr, Du wollest doch das Heilige Fleisch wieder in der Gestalt der Heiligen Hostie erscheinen lassen, auf dass ich Dich zum Heile meiner Seele empfangen kann.“ Seine Bitte wurde erfüllt. Er empfing die Heilige Kommunion mit der größten Andacht, dankte Gott und den beiden Vätern, dass sie ihn von diesem Irrtum abgebracht hatten und erzählte allen, was er in der Heiligen Messe gesehen hatte.

13. Das ist wieder ein Beweis, das Jesus Christus auf dem Altare in der Heiligen Hostie nicht allein wahrhaft und wirklich persönlich gegenwärtig sei, sondern auch Sein bitteres Leiden wahrhaft in der Heiligen Messe erneuere. Dasselbe sagt uns auch Marchantius, welcher also spricht: „Die Heilige Messe ist nicht allein eine Darstellung, sondern auch eine geistige und unblutige Erneuerung des Leidens Christi. Denn gleichwie Er einmal leidend die Sünder der ganzen Welt auf sich genommen hat, um sie mit seinem Blute auszulöschen, also legen wir unsere Sünden auf Ihn, als dasselbe Lamm, welches auf dem Altare geschlachtet werden soll, damit Er unsere Missetaten abbüße.“ In diesen Worten ist bereits die Ursache ausgedrückt, warum Christus sein Leiden und Sterben in allen Heiligen Messen erneuert; wir wollen dies aber in dem folgenden Abschnitte noch näher erläutern.

 

Warum Christus in der Heiligen Messe sein Leiden erneuern will

14. Die Ursache des bitteren Leidens Christi vermag ich nicht besser als mit den schönsten Worten des gelehrten Vaters Segneri anzugeben, der also schreibt: „Als Christus auf Erden lebte und vermöge Seiner Göttlichen Allwissenheit vorhersah, dass ungeachtet Seines bitteren Leidens viele Millionen Menschen Seiner Erlösung nicht teilhaftig und somit ewig verdammt würden, Er aber als unser wahrer Bruder das Heil der Menschen unendlich liebte,- da bat Er sich Seinem Himmlischen Vater dazu an, nicht nur drei Stunden lang, sondern bis zum jüngsten Tage am Kreuze lebendig hängen zu bleiben, um durch Seine immer fließenden Tränen, durch Sein stetes Blutvergießen und durch Sein inbrünstiges Bitten und Seufzen die Strenge der Göttlichen Gerechtigkeit zur Verordnung eines Mittels zu bewegen, wodurch diesem gewaltigen Verluste so vieler Millionen Seelen gesteuert würde.“

Dass Christus bis zum Ende der Welt am Kreuze hängen wollte, bezeugt auch der Hl. Bonaventura in seinen Betrachtungen. Mit ihm stimmen noch manche andere Gottesgelehrte überein. Ja, Christus hat es wiederholt geoffenbart, dass Er bereit sei, für jeden Sünder alles zu leiden, was Er für die ganze Welt gelitten hat.

Der liebe Heiland bat sich also an, bis zum jüngsten Tage am Kreuze zu hängen, der Himmlische Vater aber nahm dies Anerbieten nicht an und sagte, es sei überfließend genug, dass Er drei Stunden lang am Kreuze lebendig hängen bleibe; wer sich dieser Verdienste seines bitteren Leidens nicht teilhaftig machen wolle, der könne nicht Ihm, sondern müsse sich selbst die Schuld seiner Verdammnis zuschreiben.

15. Durch diese abschlägige Antwort war aber das Feuer der Liebe Christi zu uns Menschen nicht ausgelöscht, sondern nur noch mehr entflammt, uns armen Sündern zu Hilfe zu kommen. Daher erfand Er in Seiner Göttlichen Weisheit ein anderes Mittel, wodurch Er nach Seinem Lobe auf Erden bleiben, Sein gnadenreiches Leiden fortsetzen, und, gleichsam leiblicherweise am Kreuze hängend, unaufhörlich vor Gott um unser Heil bitten könnte. Dieses wundersame Mittel war kein anderes, als das Allerheiligste, Göttliche Messopfer, in welchem Er täglich, ja unaufhörlich, geistigerweise am Kreuze hängend, für uns leidet und mit allmächtiger Stimme zu Gott um Gnade und Barmherzigkeit ruft.

16. In Leben der Hl. Jungfrau Coleta (6.März) die stets eine große Liebe zur Heiligen Messe getragen, erzählt P. Bollandus: Als sie einmal die Heilige Messe hörte, welche ihr Beichtvater las, fing sie bei der Wandlung auf einmal an laut zu rufen: „O mein Gott, O Jesus, O Jesus! O ihr Engel und Heiligen! O ihr Menschen und Sünder! Sehet und höret Wunder über Wunder!“ Nach der Heiligen Messe fragt ihr Beichtvater sie, warum sie so gerufen und geweint habe. Sie sprach: „Als Ew. Hochwürden das Heiligste Sakrament aufhoben, sah ich Christus mit blutenden Wunden am Kreuze hängen und hörte Ihn mit diesen und ähnlichen Worten zum Vater seufzen: Siehe an, mein Vater, diese Gestalt, welche Ich am Kreuze gehabt und in welcher Ich für die Welt gelitten habe. Siehe an Meine Wunden, siehe an Mein vergossenes Blut, beherzige Mein Leiden, beherzige Meinen Tod. Dies alles habe Ich deswegen gelitten, damit die armen Sünder gerettet werden und nicht verloren gehen. Nun aber willst Du sie wegen ihrer Sünden verbannen und dem Satan übergeben. Wer vergilt Mir dann Mein Leiden, wer vergilt Mir dann Meinen bitteren Tod? Ich werde von den verdammten Sündern nicht allein keinen Dank zu erwarten haben, sondern sie werden Mich und Mein Leiden ewig verfluchen. Wenn sie aber selig würden, so würden sie Mich ewig verherrlichen und Mir für Mein bitteres Leiden Dank sagen. Darum bitte Ich Dich, O liebster Vater, verschone doch die armen Sünder um Meinetwillen, und wegen Meines bitteren Leidens bewahre sie vor der ewigen Verdammnis.“

17. Aus diesen Worten magst Du erkennen, wie treulich Jesus in der Heiligen Messe für uns bittet du zu Seinem Himmlischen Vater um Barmherzigkeit ruft. Denn weil die Heilige Messe eine Erneuerung des Leidens Christi ist, deshalb muss auch während derselben vorgehen, was am Kreuze geschehen ist. Am Kreuze aber rief Jesus mit lauter Stimme: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Luk.23,34) Ebenso ruft Er auch in der Heiligen Messe am Altare, zwar für alle Sünder der Welt, aber ganz besonders für jene, welche der heiligen Messe bewohnen, und diese Stimme ist allmächtig und von einer unendlichen Kraft, sie zerteilt die Wolken des Himmels und dringt in das Herz des Himmlischen Vaters. Hier erfüllt Christus das Amt eines Fürsprechers, wie der Hl. Johannes Sagt: „Wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten, und dieser ist die Versöhnung für unserer Sünden.“ (Joh. 2,1.2) Und der Hl. Paulus schreibt von Ihm: „Christus Jesus, der gestorben ist, ja, der auch auferstanden ist, der zur rechten Hand Gottes sitzt, der auch fürbittet für uns.“ (Röm.8,34) Er bittet zwar im Himmel für uns, vor allem aber bittet Er am Altare für uns, weil Er allda sein priesterliches Amt verwaltet und weil, wie der Hl. Paulus (Hebr. 5,1) sagt, es den Priestern zusteht, für die Sünden des Volkes zu bitten.

Der hochgelehrte und tieffromme Pater Dionysius aus dem Karthauserorden gibt dafür schöne Gedanken an die Hand, indem er im Namen Christi folgendes ausführt: "Das Opfer der hl. Messe wird täglich für eure Versöhnung und Reinigung und für euer Heil in der Kirche dargebracht. Denn mit solch brennender Liebe habe ich euch geliebt, so freigebig war ich gegen euch gesinnt, dass es mir nicht genug war, einmal mich euch zu widmen und einmal für euch geopfert zu werden, sondern in dem abgrundtiefen Quell meiner unendlichen Weisheit habe ich dieses tiefe Geheimnis erfunden, um unaufhörlich bei euch zu bleiben, mich euch anzubieten und geopfert zu werden".

Siehe doch, welche Liebe der Heiland zu uns hegt, dass er bei uns bleibt und von unserer Mitte aus sich immer wieder dem Vater opfert, wie er es einst am Kreuze getan hat! Dadurch wird sein Flehen zum Vater dringender und dringender auch sein Rufen zu uns, dass wir alles das uns zueignen lassen, was er uns am Kreuze an wunderbaren Gnaden erworben hat. Aus Liebe zu uns Menschen hat er drei Stunden in bitterer Qual am Kreuze gehangen. Um das wieder gutzumachen, was unser so vielfacher Ungehorsam Schlimmes anrichtet, ist der Sohn Gottes gehorsam geworden bis zum Tode, ja bis zum Kreuzestode, so gehorsam, dass er nicht bloß den bitteren Tod, sondern sogar den schimpflichsten und qualvollsten Tod auf sich genommen hat.

Diesem gibt auch Zeugnis der hl. Laurentius Justiniani, er sagt: "Unterdes Christus auf dem Altare geopfert wird, ruft Er zu seinem Vater und zeigt Ihm die Wundmale seines Körpers, auf dass Er durch seine Fürbitte die Menschen vor der ewigen Pein bewahre". 0, wie viel Gutes erwirkt Christus mit seinem Gebet am Altar! Wie oft wären Land und Leute zugrunde gegangen, wenn Christus sie nicht durch sein Gebet erhalten hätte! Wie viele Tausende wären jetzt in der Hölle statt im Himmel, wenn nicht Christus sie durch seine allmächtige Fürbitte davor bewahrt hätte! Nun denn, Sünder, Sünderin, gehe gern und oft zur hl. Messe, auf dass du der Fürbitte Christi teilhaftig und vor vielem Übel bewahrt werdest! Was du nicht durch dich erhalten kannst, kannst du durch diesen deinen allmächtigen Fürbitter bei Gott erlangen.

18. Aus dem Gesagten dürfte nun die erste Ursache, warum Christus sein Leiden in der hl. Messe erneuert, klar sein: Er will nämlich so kräftig, wie er am Kreuz getan, für uns bitten und durch Vorweisen Seines Leidens seinen Vater zur Barmherzigkeit bewegen. Nun wollen wir noch einen zweiten Grund vorbringen, der uns ebenfalls sehr nutz- und trostreich ist, nämlich damit uns durch das hl. Messopfer die Verdienste seines schmerzlichen Kreuzesopfers möchten zugeeignet werden. Um dieses besser zu verstehen, sollst du wissen, dass Christus in seinem ganzen Leben, besonders aber am Kreuze, einen unendlichen Schatz von Verdiensten erworben hat, welche er damals nur denjenigen Frommen austeilte, welche zum Empfange dieses Schatzes fähig waren. Diesen Schatz teilt er noch täglich bei vielen Gelegenheiten aus, vorzüglich aber bei der hl. Messe. Hierüber spricht ein frommer Geisteslehrer also: "Was am Kreuze ein Opfer der Erlösung war, das ist in der hl. Messe ein Opfer der Zueignung, durch welches der Wert und die Kraft des Kreuzesopfers einem jeden Menschen besonders zugeeignet wird." Dieses sind sehr schöne und trostreiche Worte, über die jeder Gerechte und Sünder sich herzlich freuen soll. Wir armen Sünder haben die Gnade nicht gehabt, dem Kreuzesopfer Christi auf dem Kalvarienberge beizuwohnen und dort uns der Früchte desselben teilhaftig zu machen; wenn wir aber der hl. Messe mit Andacht beiwohnen, so wird uns der Wert und die Kraft des Kreuzesopfers oder des Leidens Christi zugeeignet, einem jeden nach seiner Andacht.

19. Nun merke, was das für ein Nutzen ist, dass der göttliche Heiland sein Leiden für uns erneuert und uns dasselbe schenkt und zueignet. Warum meinst du, dass Er das tut? Weil wir es ganz als unser eigen betrachten und zu unserem größten Nutzen Gott aufopfern sollen. Was dieses Opfern einträgt, das kannst du bei St. Mechtildis lernen, zu welcher Christus sprach: "Siehe, ich schenke dir alle Bitterkeit meines Leidens zu eigen, auf dass du (dieselbe mir wiedergebest und opferst, als ob es deine eigene wäre. Wer nun dieses tut, dem gebe ich's doppelt wieder. Und wie oft er mir es wiederum opfert, immer gebe ich's ihm verdoppelt wieder. Und das ist dasjenige, was ich gesagt habe: er wird's hundertfältig wiederbekommen und das ewige Leben besitzen" (Matth. 16, 29).

20. Sind das nicht tröstliche Worte? Sind wir bei der hl. Messe nicht überaus glückselig, dass Christus uns einen so großen Schatz schenkt und wir ihn so leicht vermehren und vergrößern können? Wenn du nur sprichst: „O Jesus, ich opfere Dir Dein bitteres Leiden auf,“ so spricht Er: „Mein Kind, Ich gebe es dir doppelt zurück.“ Sooft du Ihm also etwas von seinem Leiden aufopferst, so oft bekommst du dasselbe vermehrt wieder. Das ist ja ein schneller Verdienst, ein leichtes Mittel, reich zu werden!

21. Noch eine weitere Ursache gibt es, warum Christus in der hl. Messe sein Leiden erneuern wollte, nämlich damit die Gläubigen, die seinem Kreuzesopfer nicht haben beiwohnen können, an der hl. Messe teilnehmen und dabei ebensoviel Gnaden und Verdienste erwerben könnten, als wenn sie bei seinem Kreuze gestanden hätten, sofern sie beides mit gleicher Andacht tun. Das will Biel sagen, da er spricht: „Siehe, wie groß unser Opfer ist! Es ist nicht bloß ein Denkzeichen des einzigen Kreuzopfers, sondern es ist ebendasselbe und bleibt allezeit dasselbe. Denn es bringt ebendieselben Wirkungen hervor, welche das Kreuzesopfer hervorgebracht hat.“ Pater Molina sagt darüber:

22. "Christus hat verordnet, dass seine Kirche stets dasselbe Opfer darbringen sollte, welches er am Kreuze dargebracht hat, nicht freilich blutiger, sondern unblutiger Weise, trotzdem aber so, dass es ebendasselbe sein sollte in der Wesenheit und in allem, was der Wesenheit folgt. Indem ich sage, dasselbe Opfer, so sage ich, dass der hl. Messe innewohnt eine Unendlichkeit der Gnaden und Vortrefflichkeiten. Denn weil die Messe ebendasselbe Opfer ist wie das Kreuzopfer, so muss sie ja dieselbe Kraft und Verdienste haben und Gott dem Vater so angenehm sein, wie es das Kreuzopfer war. Dass aber die hl. Messe wirklich und wesentlich dasselbe Opfer ist, folgt daher, weil die Opfergabe dieselbe und der eigentliche Priester derselbe ist, weil sie ferner ebendemselben Gott aufgeopfert wird und weil auch die Ursache zum Opfer dieselbe ist. Der Unterschied besteht einzig und allein darin, dass die hl. Messe auf eine andere Weise vollbracht wird als das Kreuzesopfer. Denn damals wurde Christus unter Blut und Schmerzen geopfert, jetzt aber unblutig und ohne Schmerzen."

23. Beherzige doch diese hohen und nachdrücklichen Worte, lieber Leser, und achte darauf, was für ein unschätzbares Opfer die hl. Messe ist, welch hohen Wert sie hat und welch gewaltige Kraft sie besitzt. Denn nicht allein fromme Lehrer, sondern die katholische Kirche selbst sagen ja, dass das Kreuzesopfer und Messopfer ein Opfer seien (Trid. Sitzung 22, Kap. 2). So muss ja daraus folgen, dass einer durch das Messehören Christus ebenso große Freude erweisen und ebenso großes Verdienst erwerben kann, als wenn er auf dem Kalvarienberge unter dem Kreuze gestanden hätte, wenn er nur bei der Messe solche Andacht haben könnte wie unter dem Kreuze. Sind wir denn nicht über die Maßen glücklich, indem wir täglich dem Leiden Christi beiwohnen und der süßen Früchte desselben teilhaltig werden können? Sind wir denn nicht über die Maßen glücklich, weil wir gleichsam leiblicher Weise bei unserem gekreuzigten Jesu stehen, Ihn mit unseren Augen anschauen, mit unserem Munde Ihn anreden, Ihm unsere Not klagen und Hilfe und Trost von Ihm erwarten dürfen? 0 ihr Christen, achtet diese Gnade, die Christus euch täglich erweiset, sehr hoch! 0 ihr Christen, versäumet diese Gnade, die euch Christus täglich erweiset, niemals! 0 ihr Christen, machet euch des Schatzes, den euch Christus täglich anbietet, täglich teilhaftig!


   

    
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